Mit der Ausgangsbeschränkung kam die Idee: Gedichte zur Verarbeitung der Coronakrise. Die Welt, wie sie war, bröselt dahin. Der globale Soft Reset bringt so unfassbar viel Neues. Schlimmes, Tragisches, Bizarres, Lustiges. Jeder Rausch an Input braucht einen Output. Einen Kanal, am liebsten einen künstlerischen. Ein Tagebuch in Versen? Poesie für den Seelenfrieden? Aufschreiben, was einen auffrisst? Quarantänenquatsch? Vielleicht von allem ein bisschen. Vor allem aber sind „Verse versus Virus“ ein Experiment. Eine Morgenroutine für den Schreibflow. Meine Annäherung an die Lyrik zur Stärkung meiner Prosa. Im Rhythmus der Verschmitztheit. Voilà, Woche sieben.
Abschied von Begrüßungen
(040520) Wer klopft denn nun
den Herren
die Schuppen von den Schultern?
Wer gibt denn nun
die Faust
dem Ghettobruder hart?
Wer drückt denn nun
aufs Ohr
das Schmatzgeräusch der Klum?
Begrüßungen sind
abgeschafft,
ihr Abschied fällt so leicht.
Wo warst du?
(050520) Wo warst du,
als die Mauer fiel,
Jubeltränen, Trabi, go!
Wo warst du,
als der Kaiser siegte,
Sommer neunzig, nachts in Rom?
Wo warst du,
als die Türme stürzten,
Horrorbilder, nie verdaut?
Wo warst du,
als die Bomben flogen,
Aleppos Kinder, Blut und Staub?
Wo warst du,
als die Schüsse knallten,
Münchner Schmerz, so hart die Tat?
Wo warst du,
als die Kirche brannte,
lichterloh, notre drame?
Wo warst du,
als das Virus kam,
aus Wuhan in die Lungen kroch?
Zuhause wohl
im letzten Fall,
so leicht die Antwort wie noch nie.
Cha-Cha-Cha der Vor-Vor-Freude
(060520) Im Königsblau des Morgenhimmels
ein Hoffnungsschimmer, offenbar.
Blitzend nur und instabil,
stark genug doch für ein Ja
zum Cha-Cha-Cha der Vor-Vor-Freude.
Teenage Love
(070520) In ihren Augen spiegelt sich
sein Wunsch nach viel mehr Nähe.
Der Glanz wie von nem anderen Stern,
die Iris schmückt ein Flimmerring.
Er kam ihr lange nicht so nah,
Kopf an Kopf, so reden sie
über Dinge, die nur sie verstehen,
im Wörtercode von Teenage Love.
Es begann sodann mit einem Riss,
durch ihr Gesicht, das ach so schöne.
Der Stream stockt nun zum x-ten Mal,
Telekom, du %&$§&/%§§!
Von seiner Hübschen bleibt nur noch
Pixelfratze, zerfällt ganz stumm.
Er schließt das Laptop, grinst dabei,
hat eh zu viel gelabert.
Ménage à trois unter vielen
(080520) Im satten Grün
des Englischen Garten
überschlagen sich die Ereignisse.
Dort, wo hunderte
Quarantänezombies,
beim Tête-à-tête
im Picknickmeer,
an Bier und Abendsonne
sich berauschen,
überbieten sich
auch Herrchen und Hund
in der drolligen Hatz
zum Glück.
Der Pudel schlägt Haken,
er purzelt im Gras,
das Herrchen kugelt
auf das Frauchen daneben.
Ménage à trois
unter vielen,
zum Friseur
sollten schleunigst
alle drei.
Saurer Regen
(090520) Mit dem Regen tropfen Sorgen
haltbar
in das Dachgeschoß.
Wo einst die Aura
unbeirrt
dem jungen Paar ein Bollwerk,
kriecht nun die Arbeit
rücksichtslos
hinein in das Private.
Das fremde Laptop bleibt
ein Dorn
im Auge des Geknickten.
Das Display flackert,
Geistesblitz!
Nach der Kurzarbeit ist vor der Kündigung.
Geräderte Kultur
(100520) Aus den eigenen vier Wänden
auf die eigenen vier Räder.
Autokinos brummen wieder,
Quarantänen des geknickten Sommers.
Totgesagte Benzinverbrenner,
mutierte Motoren der Festivalsaison.
Filme pixeln, Popstars tschilpen,
Bühnenkünstler wie befreit.
Zum Chrom der blitzenden Euphorie
dröhnt statt Applaus ein Hupkonzert.
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