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Verse versus Virus (Woche fünf)

25. April 2020

Bernhard Blöchl

Mit der Ausgangsbeschränkung kam die Idee: Gedichte zur Verarbeitung der Coronakrise. Die Welt, wie sie war, bröselt dahin. Der globale Soft Reset bringt so unfassbar viel Neues. Schlimmes, Tragisches, Bizarres, Lustiges. Jeder Rausch an Input braucht einen Output. Einen Kanal, am liebsten einen künstlerischen. Ein Tagebuch in Versen? Poesie für den Seelenfrieden? Aufschreiben, was einen auffrisst? Quarantänenquatsch? Vielleicht von allem ein bisschen. Vor allem aber sind „Verse versus Virus“ ein Experiment. Eine Morgenroutine für den Schreibflow. Meine Annäherung an die Lyrik zur Stärkung meiner Prosa. Im Rhythmus der Verschmitztheit. Voilà, Woche fünf.

Lockdownlove für einen Tag

(200420) Nie war sie
ihm aufgefallen,
im Haus
schräg gegenüber.
Sie trägt ein Hemd,
das viel zu groß,
größer nur das Leid im Blick.

Jeden Morgen
um halb sieben,
Kaffeedampf
ihr Gesicht erweicht.
Sie rührt ihn rührend,
hach, wie hübsch,
könnt er sie nur umarmen.

Was er nicht weiß,
dass unter ihm,
ein anderer Mann
sein Hemd ihr gab.
Nach einer Nacht
bereits die Flucht
als Arzt zurück nach Bergamo.

Bergamore
nannte sie
den Schatz mit
breitem Kreuz.
Tagein tagaus
verzehrt sie sich,
Lockdownlove für einen Tag.

Die äußere und innere Leere des Ernst Litfaß

(210420) Litfaßsäule,
ach du leere,
nackt hab ich
dich nie gesehen.
Dein Bauch ist blank
und weiß und rund.
entblättertes Schweigen,
dreht sich nix.
Kein Protzen für
die besten Filme,
größten Shows
und geilsten Gigs.
Kultur, sie fehlt
an allen Orten.
Erinnerung
ist Overkill.
Litfaßsäule,
ach du schöne,
warst optisch oft
der letzte Schrei.
Dein Körper braucht,
wie Bücher Läden,
Collagenkleider,
plakative.

Wowannwie

(220420) Wo, verlorene Herzenshälfte,
bist du nur,
ich suche dich.
Wann, verrohter Liebesschmerz,
kannst du mich
erneut benutzen.
Wie, verlebtes Wohlergehen,
darfst du denn
mit Lust erstarken.
Wo, vermisster Seelenfreund,
hast du dich
im Jetzt versteckt.
Wann, verbrauchtes Glücksgefühl,
willst du dich
zurückbegeben.
Wie, vereehrter Wundermensch,
küsst du mich,
du fehlst so sehr.

Mit Verlaub

(230420) Sie sagen, er müsse
Abstand halten.
Social Distancing ist jetzt das Ding.

Er lacht, sie hätten,
lang vor der Krise,
seine Gesellschaft stets gemieden.

Sie sagen, er dürfe
so schnell nicht wieder,
umarmen, herzen, Händedruck.

Er lacht, sie könnten,
bei aller Liebe,
am Arsch ihn lecken, mit Verlaub.

Auseinandergehen ist das neue Ausgehen

(240420) Sie ging so gerne aus,
mit Freunden, Saus und Braus.
Nun geht sie auseinander,
isst Pizza und nicht Zander.

Was ist mit ihr geschehen,
wer will sie so noch sehen?
Sie fragt sich, welche Macht,
hat sie dazu gebracht?

Es fällt ihr dann beim Saugen
wie Schuppen von den Augen.
Der Nachbar war’s, der Alexander,
vom Balkon er rief: Geht auseinander!

Tief ins Glas geschaut

(250420) Er sitzt allein und schaut ins Glas.
Dunkle Gedanken beim fünften Hellen.
Schaum des Lebens verweilt nur kurz,
aufsteigende Hoffnung, sprudelndes Glück.
Verschwommene Träume in schlierendem Gelb.
Das Jetzt ist lack, die Zukunft schal.
Im Norgerl ersäuft der Rest der Chance,
Ängste längst schon abgestanden.
Zu müde, um ins Bett zu gehen.
Er sitzt allein und schaut.

Ratlose Blicke

(260420) Bergquellklares Wasser
plätschert,
Fische schießen
gut gelaunt.
Spiegelbilder
der Verwirrung,
der Menschen Zukunft
verrinnt, verrinnt.

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