Mit der Ausgangsbeschränkung kam die Idee: Gedichte zur Verarbeitung der Coronakrise. Die Welt, wie sie war, bröselt dahin. Der globale Soft Reset bringt so unfassbar viel Neues. Schlimmes, Tragisches, Bizarres, Lustiges. Jeder Rausch an Input braucht einen Output. Einen Kanal, am liebsten einen künstlerischen. Ein Tagebuch in Versen? Poesie für den Seelenfrieden? Aufschreiben, was einen auffrisst? Quarantänenquatsch? Vielleicht von allem ein bisschen. Vor allem aber sind „Verse versus Virus“ ein Experiment. Eine Morgenroutine für den Schreibflow. Meine Annäherung an die Lyrik zur Stärkung meiner Prosa. Im Rhythmus der Verschmitztheit. Voilà, Woche vier.
Lammbraten kannst du vergessen
(130420) Das Ostermahl war schon mal schöner,
Kaffeehaus zu, kein Wirtshaus offen,
fluchst du laut, doch darfst du hoffen,
der Inder bringt’s, ums Eck hat’s Döner.
Der Anstecker
(140420) Schweißgebadetes Erwachen,
krank ist er seit Jahren nicht.
Kein Husten,
Kratzen,
Gliederschmerz,
die Nase frei, es ist zum Weinen.
Es nagt an ihm,
er hätt es gern,
immun ist er noch lange nicht.
Lieber Fieber
als die Angst davor,
positiv ist besser.
Wahnhaftes Streben,
nahezu gaga,
kein Risiko vermeidet er.
Er leckt die Klinken,
atmet tief
den Schweiß der schnellen Joggerin.
Fasst alles an im Supermarkt,
umarmt die Menschen,
auch die Hunde,
die laut dann schreien,
die bellen und beißen,
reibt grinsend sich das irre Gesicht.
Die Wochen wehen im zähen Takt,
gesund bleibt er,
steckt sich nicht an.
Sitzt ein in der Geschlossenen,
ohne Virus
und doch krank.
Der Sound der Stadt
(150420) Das Bobby Car zieht
einen knirschenden Bogen.
Die Taube gurrt
ein verschlepptes Solo.
Der Straßenmusiker
mit der scheppernden Gitarre
konkurriert mit dem Hall
seiner eigenen Riffs.
Der Sound der Stadt
verändert sich,
Stille ist
das neue laut.
Die Kulisse fehlt,
nichts zum Schlucken.
Die Wahrheit über Corona
(160420) Corona wusste lange nicht,
warum sie diesen Namen trug.
Die Mutter sprach von Heiliger,
doch Google sprach von Pandemie.
Es frustrierte sie, sie mochte sich.
Corona klang wie Königin.
Mit vierzehn wollte sie es wissen.
Ein Kind aus Liebe, schwor die Mutter.
Als Menschen wieder lebten,
was wirklich zählt tagein tagaus.
Sie sorgten sich und halfen sich,
im März der großen Not.
Sie liebten sich auf engstem Raum,
im Frühjahr zwanzig, ungeschützt.
Und wo ist Papa, fragte Corona.
Ihr Blick ein Minenfeld, so scharf.
Papa ist weg, kaum wurde gelockert.
Er hielt die Enge nicht lang aus.
Begegnungen sind Schachpartien
(170420) Er hat verlernt,
den Blick zu halten.
Menschen sind
ihm sonderbar.
Wohin nur schauen,
wann ein Lächeln,
Begegnungen sind Schachpartien.
Was selbstverständlich
einst erschien,
verkümmert stumpf
in Quarantäne.
Social Distancing ist lau,
der Weg zurück
ist Champions League.
Die Buchhändlerin
(180420) Bücher sind
das Vitamin A,
das B und C und D.
Und gäbe es
ein Z davon,
sie hätten es,
das ganze Set.
Geschichten führen
zauberschön
an Orte,
die nur träumbar.
Verkümmerte
Gefühle füllen
isolierte Herzhälften.
Läden mussten
schließen,
zu groß war
die Gefahr.
Denn schöner noch
als zauberschön
sind negative Testverfahren.
Die Händlerin,
die Bücher liebt,
ist beinah
am Verzweifeln.
Die Spenden und
das Geld vom Staat
sind doch ja nur ein Silberstreif.
Die Wochen purzeln,
kein Kunde darf,
gelockert wird
nur mäßig.
Sie kann nicht mehr,
die Last fatal,
verschenkt die Bücher und gibt auf.
Was wenn
(190420) Was wenn das Virus doch nur war
eine Zucht aus dem Labor.
Der Blonde ätzt aus vollem Rohr,
die andern waren’s, ist doch klar.
Was wenn das Virus ist, nun ja,
die Rache von der Fledermaus.
Der Veganer fordert längst das Aus,
schon immer er es kommen sah.
Was wenn das Virus aber ist
die Strafe Gottes, ins Gesicht!
Sieht einer schon das Jüngste Gericht,
der andere sagt, was für ein Mist.
Was wenn das Virus wiederum,
Gegenmittel sozusagen,
dem Kapitalismus an den Kragen,
die Menschheit rettet mit Krawumm!
Was wenn das Virus, ach so, oh ja,
eine Prüfung für die Menschheit ist.
Humanismus schlägt, damit ihr’s wisst
Profit und Gier, ist das wahr?
Die Kommentarfunktion ist geschlossen.