Mit der Ausgangsbeschränkung kam die Idee: Gedichte zur Verarbeitung der Coronakrise. Die Welt, wie sie war, bröselt dahin. Der globale Soft Reset bringt so unfassbar viel Neues. Schlimmes, Tragisches, Bizarres, Lustiges. Jeder Rausch an Input braucht einen Output. Einen Kanal, am liebsten einen künstlerischen. Ein Tagebuch in Versen? Poesie für den Seelenfrieden? Aufschreiben, was einen auffrisst? Quarantänenquatsch? Vielleicht von allem ein bisschen. Vor allem aber sind „Verse versus Virus“ ein Experiment. Eine Morgenroutine für den Schreibflow. Meine Annäherung an die Lyrik zur Stärkung meiner Prosa. Im Rhythmus der Verschmitztheit. Voilà, Woche elf.
Liebe im Vergleich
(010620) Liebe ist
das stärkste Virus,
pandemisch
ohne Gegengift.
Infizierte
überschlagen sich,
die Zahl der Toten
wesentlich.
Geheilte von
der Liebe, nein,
gibt es kaum,
seit Jahrmillionen.
Mutierte Lust
trotzt Herzensbruch,
durchseucht
ist der Planet.
Zwanzigzwanzig in Zwanzigzeilen
(020620) Die beginnenden Zwanziger
des dritten Jahrtausends
sind das Wartezimmer
für kollabierte Wohlstandspatienten,
in dem Menschen mit Masken
Abstand nehmend
in abgegriffenen
Verschwörungsmagazinen blättern
oder sich, mit Müdigkeit im Blick,
nach Wiederbelebungsspritzen
für ihren Alltag sehnen,
während nebenan,
in geschlossenen Räumen,
Lungen implodieren,
übertönt nur von den
Parolen der Straßen,
wo symptomfreie Zukunftsbejaher
#blacklivesmatter deklamieren,
zum Feuertanz
vor toten Theatern.
Über die allmähliche Auflösung der Zukunft beim Schreiben
(030620) Die Zukunft ziert sich unkonkret,
Pläne schmieden, schmiegend glatt.
Morgen ist ein Aal.
Die Zukunft windet sich und dich
erschaudert, nichts als Schlieren.
Übermorgen liegt im Nebel.
Die Zukunft ver
schwin
det.
Alles im Nichts
(040620) In der blauen Stunde
vor dem Eingang zum Club
pfeift ein Pärchen
knutschend
auf Distanz so ganz.
Zum Beat so stumm,
Harmonie
in Gedanken,
„Enjoy the silence“
zeitlos schön.
Der Club geschlossen,
Lehrstück der Leere,
nur die beiden
sind
alles im Nichts.
Seit Wochen
droht
das Aus der Bühne,
das Pärchen feiert,
wo die Liebe begann.
Faire l’amour, ma chère
(050620) Ich wünschte, ich wär‘
immun, ma chère,
dann könnte, ich schwör,
l’amour, ma chère,
nur uns, so sehr
erfüllen, ma chère,
doch leider, wiegt schwer,
zu riskant, ma chère,
drum Küsse, nur leer,
mit Maske, ma chère,
erst später dann mehr,
versprochen, ma chère.
Mais oui, ma chère,
mais oui!
Mimikmonster
(060620) Wenn die Masken
fallen im Freien,
die Mimik oft
noch ganz verloren.
Menschen trugen
immer Masken,
jetzt ziehen sie
an den Ohren.
Waldemar schiebt den Blues
(070620) Waldemar war nie allein.
Im Heim umringt
von Leidgenossen.
Nun leeren sich
seit einer Weile
die Wohneinheiten
wie noch nie.
Die jungen Damen,
auch die alten,
verschleppt, entzückt,
in neues Glück.
Als Gegengift
zur Einsamkeit,
Menschen sind
berechenbar.
Waldemar war nie beliebt.
Im Heim stets
unvermittelbar.
Nun jault er laut,
ganz sein Revier,
den Lockdown-Blues
des Labradoodle.
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