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Verse versus Virus (Woche neun)

24. Mai 2020

Bernhard Blöchl

Mit der Ausgangsbeschränkung kam die Idee: Gedichte zur Verarbeitung der Coronakrise. Die Welt, wie sie war, bröselt dahin. Der globale Soft Reset bringt so unfassbar viel Neues. Schlimmes, Tragisches, Bizarres, Lustiges. Jeder Rausch an Input braucht einen Output. Einen Kanal, am liebsten einen künstlerischen. Ein Tagebuch in Versen? Poesie für den Seelenfrieden? Aufschreiben, was einen auffrisst? Quarantänenquatsch? Vielleicht von allem ein bisschen. Vor allem aber sind „Verse versus Virus“ ein Experiment. Eine Morgenroutine für den Schreibflow. Meine Annäherung an die Lyrik zur Stärkung meiner Prosa. Im Rhythmus der Verschmitztheit. Voilà, Woche neun.

Vor leeren Rängen unbegehrt

(180520) Im Stadion der Ungeduld
Millionäre flanken fein,
vor leeren Rängen unbegehrt,
Junge, mach ihn rein!

Die Geister, die sie riefen,
spuken derweil in Block G,
Langeweile ohne Pause,
war niemals ihr Metier.

Der Ruf der Fans verhallt
zuhause stumpf und schief
wie ein Schütze, der zwar will,
zum Punkt geht und nicht schießt.

Rauschhaftes Vermissen oder: Schwenkend schwappt die Erinnerung

(190520) Das Lächeln der Kellnerin
schimmert heller
als ihr bester Veneto Spritz.
Abendrot zum Abendbrot,
Quarantänenblässe, ach.
An den Tischen im Freien,
mit Abstand,
die dankbarsten Gäste,
sehnsuchtsvoll.
Ne Margherita von Renata,
zum Service ein Plausch,
rauschhaftes Vermissen
in geschlossener Straße.
Im Glas der Durstigen
schwenkend schwappt
die Erinnerung
stürmisch und nass.
Das Leben kann
so schön und funkelnd
wie Renatas
neuer Ehering.

Vernunft schluckt Massen, Vernünftiger schluckt Mass

(200520) Massen sind längst abgeschafft,
Zerstreuung siegt, maßvoll sein.
Das beste Maß ist stets die Mass,
geht rein zur Not auch ganz allein.

Exkurs in den Biergarten oder: O wei o wei, Aiwanger

(210520) Wenn sechs bis acht Leute,
jeder mit seinem Kumpel kommt,
dann kann der sich natürlich
jeweils mit seinem Kumpel,
der seine Bezugsperson ist,
an einen Tisch setzen.
Und mit 1,50 Abstand
sitzt der nächste Kumpel
mit seinem Kumpel.
Aber die können nicht
sechs mal zwei an einem Tisch sitzen,
weil nicht mal die ersten Sechse
an einem Tisch sitzen dürfen.
Und zu den anderen ist jeweils
1,50 Abstand zu halten.
Wenn der Tisch irgendwo
15 Meter lang ist
und dann im Abstand von 1,50
immer die Pärchen gegenüber sitzen.

Abgestöpselt von der Welt

(220520) Das linke Ohr bleibt zu,
Schreie bleiben draußen,
der Arzt bleibt gelassen,
Sorgen bleiben drinnen,
nichts bleibt für immer,
bleibt daheim!

Angst in Scheiben

(230520) Wochen fliegen,
ach, schon Mai?
Pläne biegen,
vielerlei.
Zeit wie Gummi,
Gefühle zäh,
Quarantänenflummi,
Ende jäh.
Träume ruckeln,
Streaming mau,
Hoffnung nuckeln,
Magen flau.
Tage treiben,
Sommer, fast,
Angst in Scheiben
Dauergast.

Gegen Liebe mangelhaft

(240520) Küsse lassen
sich nicht stoppen,
Magnete ziehen,
Naturgesetz.
Knistern bleibt,
auch unter Masken,
heißer Atem,
Schichtbetrieb.
Und die Wärme
ihrer Lippen
dezent ihm an
den Stoff sich schmiegt.
Mundschutz mag
die Viren dämmen,
gegen Liebe
mangelhaft.

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