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Verse versus Virus (Woche eins)

28. März 2020

Bernhard Blöchl

Mit der Ausgangsbeschränkung kam die Idee: Gedichte zur Verarbeitung der Coronakrise. Die Welt, wie sie war, bröselt dahin. Der globale Soft Reset bringt so unfassbar viel Neues. Schlimmes, Tragisches, Bizarres, Lustiges. Jeder Rausch an Input braucht einen Output. Einen Kanal, am liebsten einen künstlerischen. Ein Tagebuch in Versen? Poesie für den Seelenfrieden? Aufschreiben, was einen auffrisst? Quarantänenquatsch? Vielleicht von allem ein bisschen. Vor allem aber sind „Verse versus Virus“ ein Experiment. Eine Morgenroutine für den Schreibflow. Meine Annäherung an die Lyrik zur Stärkung meiner Prosa. Im Rhythmus der Verschmitztheit. Voilà, Woche eins.

Flockentod

(230320) Märzhimmel ohne Flugzeuge,
das Blau ein Blickfang mehr denn je.
Wo sonst Kondensstreifen
Gretas Träume durchkreuzen,
buhlt rein das monochrome Meer.

Die Frühlingsluft, die klare,
nimmt träge Schneeflocken huckepack.
Ein Mops bellt pubertär,
zerfleischt die Stille,
Jubelwuff über das neue Jetzt.

Die Natur, sie atmet.
Atmet.
Und atmet.
Ihre Lunge erholt sich
wie seit Jahrzehnten nicht.

Die Menschenlunge,
die gestern noch gesunde,
röchelt derweil auf der Intensivstation.
In der Isar schmelzen letzte Flocken,
drinnen stellt einer die Maschine ab.

Wenn Hamster hamstern

(240320) Der Hamster schämt sich,
sein Image im Keller,
der Deutsche macht,
wer hätt’s gedacht,
Klopapier zum Megaseller.

Der Hamster lacht,
auch das muss sein,
der Holländer rennt,
was Klischee sich nennt,
Coffeeshops die Türen ein.

Der Hamster schmunzelt,
laut fiept er: Ja!
Der Franzose schnappt sich,
was wundert’s mich?
Kondome und Wein, o là là.

Der Hamster verzweifelt,
es kommt noch böser,
der Amerikaner glaubt,
Asche aufs Haupt,
Waffen sind der Alleslöser.

Auch der Hamster hamstert,
oder würd’s gern mal wissen,
was der Hamster begehrt,
sei’s ihm verwehrt?,
sind Laufradsprossen zum Verpissen.

Isolation ist laut

(250320) Obendrüber knarzt das Parkett,
Schritte pochen, dumpf und grau.
Nebenan schreit das junge Leben,
Henry hat Hunger, der Vater singt.
Von unten bahnt sich Stimmengewirr
durch den Kaminschacht seinen Weg herauf.
Im Treppenhaus reden Handwerker,
Möbelpacker, oder ist es das Gesundheitsamt?
Draußen rumpelt die Straßenbahn,
taktlos im normalen Takt.
Autos rauschen vorbei,
übertönt von Sirenen.
Das Leben fährt runter,
die Geräusche nehmen zu.
Isolation ist laut.

Corona vocabulum

(260320) Shutdown, Lockdown,
Schnelltest, Drive-in.
Flatten the Curve, Flatten the Curve!

Wuhan, Heinsberg,
Webasto, Nembro.
Flatten the Curve, Flatten the Curve!

Kontaktverbot, Ausgangssperre,
Distancing, Quarantäne.
Flatten the Curve, Flatten the Curve!

Epidemie, Pandemie,
Einsfünzig, Mundschutz.
Flatten the Curve, Flatten the Curve!

Covid-19, Tröpfchen,
Schmier, exponentiell.
Flatten the Curve, Flatten the Curve!

Robert Koch, Johns Hopkins,
Kekulé, Drosten.
Flatten the Curve, Flatten the Curve!

Wirtschaft am Boden,
neue Wörter gelernt.
Spread the Word, spread the Word!

Flirten kann sie noch

(270320) Jil sehnt sich nach Nähe,
ihr letzter Kuss ist Wochen her.
Eine Hand im Gesicht, eine Umarmung vielleicht.
Davon träumt sie allein auf Leinen.

Statt einen Mann zu berühren,
klopft sie bott auf das Display.
Digital kann sie noch jeden haben.
Pixelliebe lässt sie kalt.

Sie verlässt die Wohnung,
um Luft- und Liebe zu schnappen.
Sieht Masken, wo sonst Bärte sprießen.
Ihr Atem stockt, aber ohne das Kribbeln.

Ein Einzelgänger, so wie sie,
kommt ihr vom Supermarkt entgegen.
Nett sieht er aus, auch groß und stark.
Sie lächelt, Flirten kann sie noch.

Er kommt näher mit großen Schritten,
seine Augen braun, die Lippen voll.
Sollen am Kaffee nippen, den sie gebrüht.
Verbrennen will sie sich an ihm. 

Im Kopfkino beginnt der Liebesfilm.
Freie Bahn, nur er und sie.
Coronaliebe, wer kann sie verbieten?
Der Mann wechselt die Straßenseite.

Fünfzehndreißig

(280320) Fünfzehndreißig, der Tag geritzt,
noch nie hat er ein Spiel verschwitzt.
Fünfzehndreißig, das Bier gekühlt,
nichts hat ihn so aufgewühlt.
Fünfzehndreißig, am Stammtisch rechts,
Experten streiten, jubeln und lechz!

Fünfzehndreißig, die Stadien leer,
der Samstag wird zum Tränenmeer.
Fünfzehndreißig, allein zuhaus,
es fehlt der Sinn, der Kick und Aus!
Fünfzehndreißig, er könnte kotzen,
doch satt zu motzen
und groß rumzujammern
studiert er statt der Ligatabelle
die Coronafälle der ersten Welle.

Ein schräges Hobby, weiß er durchaus.
USA vor Italien, was für ein Graus.
Im Fußball hätt’s das nie gegeben,
Squadra Azzurra, hoch soll sie leben!

Demokratie siegt

(290320) Briefwahl ist langweilig,
Herzklopfen gibt’s nur in der Kabine.
Aber dort lauert das Virus,
es ist ein Kreuz mit dem Kreuz.

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