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SZ-Kolumne: Vorschlag-Hammer (16)

27. September 2014

Bernhard Blöchl

Hingehen, fernbleiben, Lieblingsfluchten. Unter dem – nun ja – Schlagwort „Vorschlag-Hammer“ schreiben SZ-Journalisten auf, welche Münchner Kulturveranstaltungen sie empfehlen (und vor welchen sie warnen). Hier mein 16. Teil vom 26.9.2014:

VORSCHLAG-HAMMER
Ein Prosit des Protests

Obacht, ich bin gerade auf Krawall gebürstet. Nicht nur, weil mein Handy und mein Computer synchron vor sich hin lahmen, als hätten sie sich abgesprochen, mich auszubremsen. Mein Grant hat auch mit der Wiesn zu tun. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich gehöre nicht zu denen, die das Oktoberfest meiden. Stattdessen werde ich teilnehmen und trinken, bis der Gaudibaum kippt. Jawoll! Allerdings weiß ich jetzt schon, dass ich den Knurrhahn in mir nicht abstellen kann. Dem ist es in den Zelten zu voll, der Kostümierungszwang ist ihm zuwider, und besoffene Wuppertalerinnen? Na ja.

Am allerschlimmsten an der Wiesn ist jedoch, da brauchen wir gar nicht lange drumherum reden, Helene Fischer. Schon klar: „Atemlos“ wird der Wiesnhit, und mir fehlen die Worte. Deshalb kopiere ich an diese Stelle gerne, was ich vor ein paar Jahren nach dem schlimmsten Konzert meines Lebens schon einmal in diese Zeitung geschrieben habe: „Helene Fischer bedient und fördert die Stumpfsinnigkeit. Dafür zieht die Russlanddeutsche alle Superschmalz-Register. Ihr Schlager-Pop ist austauschbar, die Texte sind banaler als TV-Adaptionen von Rosamunde Pilcher, und man fragt sich: Ist das nicht die Art Sound, die man Gema-frei im Internet bekommt?“

Extra

Abgrenzung ist wichtig, Protest reinigt heiße Luft. Wie es aussieht, wenn ein Haufen Freaks dem Establishment an den Karren fährt, kann man derzeit im Kino bestaunen: Baran bo Odars „Who Am I“ ist ein schnittiger Hacker-Thriller über vier Computer-Nerds, die sich in einem gefährlichen Spiel aus Spaß, Anarchie und Sucht nach Anerkennung zu verheddern drohen. Und als Zuschauer fragt man sich, worüber man sich am meisten freut: über den multiplen Plot-Twist, die rhythmischen Schnitte zur druckvollen Musik, oder doch über die Schauspieler, allen voran Tom Schilling, Elyas M’Barek, Wotan Wilke Möhring und Antoine Monot, Jr. Das ist spannendes modernes Kino, unbedingt anschauen!

Wutschäumend ist auch das Benefiz-Musikfestival „Rage Against Abschiebung“ (2.10.): Im Feierwerk drehen unter anderen The Moonband, Jacques Palminger und Die Heiterkeit ihre Verstärker auf, um gegen Rassismus jeder Art zu demonstrieren und Spenden für die Arbeit des Flüchtlingsrats zu sammeln. Jan Delay ist ebenfalls hin und wieder zornig, man kann sich ja über so viel aufregen: In seinem Song „Dicke Kinder“ näselt er: „Dass gutes Essen teuer ist, das ist eine Lüge. Für jede Tüte Chips kriegst du zwei Kilo Gemüse.“ (1.10., Zenith). Manchmal helfen auch die leisen Töne, zuweilen die Flucht in die Poesie. Jens Friebe zum Beispiel hat kürzlich ein ganz bezauberndes Album herausgebracht, schon der Titel verzückt: „Nackte Angst, zieh dich an, wir gehen aus.“ Die Songs des Musikjournalisten streicheln die Seele, und der wohlige Glücksrausch verdrängt meinen Grant (10.10., Milla). Bis gleich wieder irgendwo „Atemlos“ gespielt wird.

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