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Uschmann und ich

12. Oktober 2025

Bernhard Blöchl

Late to the party, aber sei’s drum: Oliver Uschmann hat einen großartigen Roman geschrieben, vielleicht seinen bisher besten, und aus vielerlei Gründen fühle ich mich veranlasst, eine Uschmann-Hymne zu singen. Eine, die ein Chor mit sattem Echo bereits im Frühling hätte singen sollen.

Ich möchte „Ausgefranzt“, so heißt das kleine Juwel aus dem Adakia Verlag, allen ans Herz legen, die entweder Franz Kafka schätzen, Freude an Gedanken- und Erzählexperimenten haben, oder sich an Satiren auf den Literaturbetrieb erfreuen. Wer alles in sich vereint, wird ausflippen vor Leseglück, versprochen. Warum? Dazu kommen wir später.

Zunächst ein Sprung zurück.  

Mit Oliver Uschmann fing es an, vor genau 15 Jahren. Wer weiß, ob ich ohne Oliver Uschmann heute Romane schreiben würde? Es war ein Kurzgeschichtenwettbwerb, den der sehr geschätzte Musikjournalist und Autor („Hartmut und ich“) 2010 ausgerufen hatte, der mich motivierte, es doch auch mit dem fiktiven Erzählen zu versuchen.

Mein Text „Querulant im Amt“ über einen Beamten, der sich durch subversive Kunstaktionen das Leben im Amt für Abfallwirtschaft erträglicher macht, erreichte Platz 2 der Jurywertung. Nach der Lesung in Oelde im Münsterland, meiner ersten Lesung überhaupt (ich trug ein T-Shirt mit dem Spruch „Vorhang auf für Ihren Müll!“), war mir klar: Ich wollte Romane schreiben. Als Spielbein zu meinem Standbein als SZ-Kulturjournalist. Drei Romane sind bis heute publiziert, der vierte ist in Arbeit.

Neben meinen Wortgöttern Tom Robbins, Wolf Haas und Heinrich Steinfest ist Uschmann meine frühe Inspirationsquelle. Danke dafür, du unermüdlicher Vorarbeiter präziser und humoristischer Handwerkswörterkunst!

Und dieser Teufelskerl und ehemalige Bestsellerautor hat sich bis heute nicht unterkriegen lassen von den kafkaesken Kräften der Windmühlen des Marktes. Er schreibt, meist zusammen mit seinem Lebensglück Sylvia Witt, Sach- und Jugendbücher, führt Interviews, veredelt Texte, arbeitet als Ghostwriter, pflegt Social Media, doziert. Man könnte sagen: Er zieht alle Register respektive Schubladen, dabei lehnt er das Wesen einer Schublade tief im Herzen ab. Ein Roman ist ein Roman ist ein Roman.

Auf den neuen Roman war ich sehr gespannt. „Ausgefranzt“ ist ein Herzensprojekt für den Germanisten, der seine Magisterarbeit über Franz Kafka schrieb. Das Buch ist ein Schatz, große Ü-Kunst (seit Jahren singe ich Loblieder auf die Verschmelzung von unterhaltender und sogenannter ernster Literatur, von U und E zu Ü).

Mit unangestrengter Leichtigkeit geht Uschmann der Frage nach: Was wäre, wenn Kafka aus dem kollektiven Gedächtnis verschwindet und sich nur einzelne Menschen an seine Werke erinnern? Richard Curtis’ und Danny Boyles Film „Yesterday“ (2019) lässt grüßen, aber die Parallelen schmälern die Lesefreude der insgesamt doch recht anders verlaufenden Was-wäre-wenn-Geschichte zu keiner Zeit.    

„Ausgefranzt“ handelt von Joris Klein, einem einst erfolgreichen Schriftsteller in der Lebenskrise. Er jobbt in einem Baumarkt und haust auf einem Campingplatz. Als der Kafka-Freak feststellen muss, dass sein Idol nicht mehr zu existieren scheint, macht er sich daran, den „Process“ aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren.

Der Roman steckt voller Kafka-Referenzen (die am Ende in einem hübschen Glossar erklärt werden). Am stärksten ist er dann, wenn er Joris’ aussichtslosen Weg kafkaesk nachzeichnet, das Stück Weltliteratur nichts ahnenden Verlagen schmackhaft zu machen. Denn die Lektorinnen und Lektoren sind ausnahmslos nicht von der Vermarktbarkeit des Textes überzeugt („Ich kann somit kein wirkliches Publikum dafür imaginieren.“)  

Uschmann hat hier, jede Wette, viel von sich und seinen kafkaesken Kämpfen verarbeitet. Kämpfe, die er seit Jahren führt, um die Mechanismen des gegenwärtigen Literaturmarktes zu verstehen. Das Buch ist köstliche Satire und kluge Kafka-Hommage, vergnügliches Erzählexperiment und nicht zuletzt: beste Unterhaltung. Sein Roman ist ein kreativer Befreiungsschlag – vielleicht Uschmanns Erlösung? Man wünscht es ihm.

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