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Tom und ich

Tom Robbins bedeutete mir die Welt. Weil er mir die Welt deutete. Sprachlich, philosophisch, menschlich. Ein sehr persönlicher Nachruf auf den besten Schriftsteller und Lehrmeister – mit einer Enthüllung aus der deutschen Verlagswelt und bisher unveröffentlichten Sätzen des US-Amerikaners. 

Bis heute steht in meinem WhatsApp-Status, ich sei damit beschäftigt, Tom Robbins zu lesen, gefolgt von dem gut gemeinten Rat: „Solltest du auch tun.“ In meinem Bücherregal, ganz oben rechts, kuscheln all seine Bücher, die deutschen mit ein paar englischen Ausgaben (die englischen sind noch etwas schüchtern). An der Wand gegenüber hängt ein Poster zum Roman „Jitterbug Perfume“, das einen beseelten Pan mit seiner Flöte zeigt, und wann immer ich auf Reisen bin, stöbere ich, tänzelnd wie Pan, nach internationalen Sondereditionen in Läden, die nach Druckerschwärze riechen.

Es verwundert also nicht, dass in den drei Romanen, die ich selbst bisher geschrieben habe, Tom Robbins namentlich erwähnt wird (auch in das wachsende Manuskript zum vierten hat er sich bereits eingeschlichen).

In der Coming-of-Age-Geschichte „Eine göttliche Jugend“ lasse ich meinen Protagonisten Eddie in der Lebensrückschau denken: „Robbins ist der wildeste Gedankenflugpilot von allen. Seine Romane gewähren den saftigsten Sätzen Unterschlupf, sind Spielwiesen für die verrücktesten Ideen. Seine Bücher sind Weichbodenmatten für die waghalsigsten Purzelbäume, zu denen Wörter sich aufschwingen können, wenn man sie nicht im Floskelkeller verkümmern lässt. Ich gehe noch einen Ausfallschritt weiter: Tom Robbins hat aus mir einen Menschen gemacht, der sich neugierig, offen und verschmitzt durch den Zauberwald namens Lebens trollt, ohne sich dabei wichtiger zu nehmen als den Regenwurm in der Erde unter den eigenen Füßen.“

Die beliebteste Frage bei Lesungen zum Roman lautete: Wie viel Eddie steckt im Autor?

Sagen wir so. Wer mich gut kennt oder gerade besser kennenlernt, wird früher oder später (meistens früher) die Antwort auf alles bekommen. Nein, nicht 42 im Sinne von Douglas Adams, sondern Tom Robbins. Tom Robbins ist meine 42.

Mit Gedanken über ihn habe ich Freunde und Weggefährtinnen jahrelang eingelullt und inspiriert. Ab und an auch Unverständnis provoziert. Was hast du nur immer mit diesem verrückten Schriftsteller? Anstrengend! Sprachverliebt! Voller Fehler! Mein Lieblingsmensch hat mir dennoch vor ein paar Jahren ein wundervolles Junkjournal gebastelt, mit Zitaten und Bildern, collagenartig arrangiert, wie es Tommy Rotten, dem lebensdurstigen Schelm aus Blowing Rock, Virginia, gefallen hätte.

Wie gern hätte ich ihn das kleine Kunstwerk signieren lassen, bei einem geplanten, leider mehrmals verschobenen Trip nach La Conner bei Seattle. Nun aber hat Tom Robbins am 9. Februar 2025 diese Welt verlassen, und ich habe noch nie so viele Tränen vergossen über das Ende eines irdischen Künstlerlebens. Ich war schockiert gewesen, als Kurt Cobain von uns ging, war ehrlich traurig über die Verluste von Harry Mulisch, Heath Ledger, Amy Winehouse, Udo Jürgens, Helmut Dietl, David Bowie, um nur ein paar zu nennen.

Aber Tom Robbins bedeutete mir die Welt. Weil er mir die Welt deutete. Sprachlich, philosophisch, menschlich. Er lehrte mich, dass einzelne Sätze imstande waren, physisch zu wirken. Dass Metaphern und Vergleiche so waghalsig schön sein können, dass sie nicht nur das eingerostete Gedankengefüge durchrütteln, sondern darüber hinaus den Verstand und den Blick auf die Welt schärfen. Wie das Gefühl bei der besten Idee, die man nach langer Flaute hatte, das Gefühl beim Aufwachen nach einem erholsamen Traumschlaf, das Gefühl, wenn sich die Lippen lösen nach einem romantischen Kuss, der den Namen verdient. Mit einem einzigen Satz waren Körper und Geist neu justiert, als hätte man ein Update des menschlichen Betriebssystems verpasst bekommen, ganz ohne Ladezeit und Bugs.

Beispiele gefällig? Liebend gern! Und schon weht ein Satz aus seinen Memoiren über seine Jugend in den Südstaaten der USA daher:

„Aus dem stickigen Krankenzimmer des zugeknöpften Amerikas der Fünfzigerjahre, diesem beige verhangenen Jahrzehnt mit Vanillegeschmack, dessen Leitstern eine nach Fichtennadeln duftende Kerze auf dem Gartentisch war, sah ich hinaus auf etwas, das mir vorkam wie behavioristischer Frühling – eine metaphorische Zeit unaufhaltsamer Erneuerung, fruchtbar, wild, grün und frei -, und hatte das Bedürfnis, halb nackt darin herumzutollen.“

Oder der hier, ebenfalls ohne Poesie-Diplom hingezaubert:

„Als sich unsere Lippen berührten, gingen Pfaue in Deckung, verloren Elefanten ihr Gedächtnis, entwickelten Kamele rasenden Durst, und längst ausgestorben geglaubte Dinosaurier tauchten plötzlich in den Abendnachrichten auf.“ (Auch aus „Tibetischer Pfirsichstrudel“, im Original: „Tibetan Peach Pie“, 2014).

Tom Robbins führte mir vor Augen, dass selbst große Krisen und Katastrophen mit Humor ein Stückchen besser zu ertragen waren („A sense of humor is superior to any religion so far devised.“). Der notorisch neugierige Draufgänger zeigte mir, wozu die Fantasie fähig war, wenn man sie nicht durch lähmende Banalitäten im Keim erstickte. Was also Freiheit konnte, Politik und Religion eher nicht. Er wies mir brennnesselbewachsene, aber vergnügliche Wege, wie man das Leben mit einem Grinsen meisterte. Wie man Werden und Vergehen akzeptierte. Robbins war mein Kompass.

„Dann würde sie erkennen, dass ihre große Aufgabe im Leben nichts mit einem Kampf zwischen Klassen, Rassen, Nationen oder Ideologien zu tun hatte, sondern eher darin bestand, dass man ganz individuell versuchte, seine Seele zu öffnen, sein Bewusstsein zu erweitern und seine Gedanken zu beflügeln. Auf diesem Weg zur Erkenntnis war die Politik nichts anderes als eine von lärmenden Pavianen errichtete Straßensperre.“ (Aus „Salomes siebter Schleier“, im Original „Skinny Legs And All“, 1990). 

Das Lob, das ihn vielleicht am meisten beeindruckte, schenkte ihm eine Leserin, wie er in seinen Memoiren erzählt. Es ging so: „Ihre Bücher bringen mich zum Lachen, sie machen mich nachdenklich, sie machen mich geil, und sie haben mir all die Wunder dieser Welt vor Augen geführt.“ Der Kollege Thomas Pynchon brauchte weniger Worte, seine Bewunderung auszudrücken. Worte, denen ich mich anschließe, weil wir offenbar ähnliche Kriterien an Literatur haben: „Der beste Schriftsteller der Welt“.

Ja, ich schreibe mir hier eine rostige Schubkarre Kummer vom Herzen. Und das war erst das Intro. Wer die weitere Lektüre dem ewigen Wischundweg auf seinem Smartphone vorziehen möchte, das in diesem Moment garantiert längst um Aufmerksamkeit buhlt, wird Lustiges, Kurioses und Wundersames von diesem hochgradig ansteckenden Lebensclown namens Thomas Eugene Robbins erfahren – und damit auch von mir. Es wird hier noch um Mails gehen, die wir uns vor ein paar Jahren aus Anlass meiner großen SZ-Würdigung („Anekdotenstrudel“, 3. Mai 2017) über den Atlantik hin und her geschickt haben, Betreff: „Transatlantic Woodpecker“. Es wird um eine sage und schreibe 30-jährige Verbundenheit gehen, um seine Lesung in München 1998 und um tollkühne Pläne einer spektakulären Rückkehr.

Apropos Rückkehr: Zunächst sollen sich die Wörter scharen, um angemessen von Tom Robbins Auferstehung zu berichten. „Another Roadside Attraction“ (auf Deutsch: „Ein Platz für Hot Dogs“), sein Debütroman aus dem Jahr 1971, fußt auf der steilen Idee, Jesus‘ mumifizierte Leiche wird aus ihrem Versteck in den Katakomben unter dem Vatikan gestohlen und taucht später in einem ausgeflippten Zoo am Straßenrand im pazifischen Nordwesten wieder auf.

Nun gibt es zwar keinerlei Anzeichen dafür, dass Robbins mehr als ein paar kritisch-überdrehte Gedanken für den Vatikan und dessen Himmelfahrtstheorien übrighatte. Aber es gibt wundersame Zeichen, dass Robbins im deutschsprachigen Raum noch lebt.

Wahoo-uoo-ho! 

Hier meine Theorie: Offiziell hieß es im traurigen Februar 2025, Tom Robbins sei im Alter von 92 Jahren gestorben. Nun hat uns sein deutscher Verlag aber seit jeher glauben lassen, der US-amerikanische Autor wäre 1936 geboren, zumindest druckte Rowohlt diese Information jahrzehntelang in all seine Bücher. Was wiederum bedeuten würde, dass der im Juli Geborene im Jahr 2025 hierzulande erst 88 wäre – folglich noch vier Jahre Zeit hätte, um die offiziellen 92 zu erreichen. Vier Jahre sollten genügen, um die Idee einer tollkühnen Retrospektive in München umzusetzen. Dazu später mehr. 

Ich gebe zu, ich freute mich wie ein Kind auf erfolgreicher Schnitzeljagd, als ich Rowohlt in Person des langjährigen Programmleiters Belletristik, Thomas Überhoff, freundlich auf den Fehler hinwies. War 1936 das neue 1932? „Das wird geändert!“, schrieb er mir zurück. 

Tom Robbins selbst gefiel die Episode ähnlich wie mir. Woher ich das weiß? Aus erster Hand! Denn als ich ihm in bereits erwähnter Mail aus dem Jahr 2017 davon erzählte, antwortete er: „Grosse danke! I‘m thankful, as well, that I have now learned that the Fountain of Youth is located in Germany.“ Das sah dem Mann ähnlich, der stets an Wunder und Magie glaubte und an all die verrückten Schübe der hartnäckigsten chronischen Krankheit namens Leben. In seinen Memoiren formulierte er es so:

„Sollte auf meinem Grabstein ,Meschuggener Magier‘ stehen, hätte ich meine letzte Ruhe gefunden, selbst wenn ein unmoralischer Bestattungsunternehmer meine Totenkleider verkaufen würde. Inklusive Boxershorts.“

Von diesem Magier eine Reaktion auf meine Mail zu bekommen, war zweifellos mein Höhepunkt unserer Geschichte. Als sie in meinem Postfach aufploppte, stolperte ich vor Aufregung erst einmal aus dem Büro, das ich mir zu jener Zeit mit dem Pop- und Jazz-Kollegen der SZ teilte, drückte beim Aufzug die falsche Etagennummer, um mir über Umwege doch noch einen Cappuccino im Café im Erdgeschoss zu holen, in den ich gedankenverloren zu viel Zucker schüttete. Ich freute mich auf die süße Überraschung, die auf dem PC im 16. Stock auf mich wartete.

„Dear Herr Bernhard Bloechl, mine Deutsche ist lange kaput, so yes it is less painful if we exchange electrons in English.“

So fing die Mail an, ich war sofort elektrisiert. Die Begeisterung trug mich über die Dutzenden Sätze. Jeder Satz war ein Geschenk. Ich meine das ernst. In Hunderten Romane hatte ich Zeit meines Lebens die immergleichen Formulierungen, Wörter und Kombinationen beklagt, und tue es noch immer. Nichts gegen eine klare und einfache Sprache. Aber wäre das Leben nur klar und einfach, gäbe es kein Chaos im Universum, keine Verwirrung im Herzen und keine Magie auf den Spielplätzen der Seelen. Um das passend abzubilden, braucht es einen Zauberstab und keine Fibel „Deutsch für Profis“.

„First, I‘m sorry about the delay in my response, but I have spent this past week celebrating the anniversary of that day 85 years ago when I came swinging like Tarzan out of the womb, hanging from an umbilical cord rather than a vine.  Wahoo-uoo-hoo! Your e-mail is now counted among the gifts that (deserved or not) I received.“ 

In der Mail ging es außerdem um die kongeniale deutsche Übersetzerin Pociao und um Robbins‘ Lieblings-Zen-Parabel, die zum Titel seiner Memoiren führte. Vor allem aber drehte sich unser Elektronen-Tausch um meine Idee einer München-Hommage, möglichst im Literaturhaus, natürlich mit ihm, wie ich wild herumspann. Robbins war begeistert – und ließ schon mal den lilafarbenen Helikopter vom Papst vorfliegen, zumindest in Gedanken:   

„Not since 1998 have I inflicted myself on Munich, but I remember it with such pleasure that if there were a literary evening scheduled there, I might just dismiss my current dislike of air travel to parachute into Bavaria from a purple helicopter (stolen from the Pope).“

Ich hatte in meiner Mail die Erinnerungen skizziert, die ich an Robbins‘ einzige München-Lesung am 17. Mai 1998 im Café der Muffathalle hatte. Das Ticket jobbt noch immer als Lesezeichen in meiner Robbins-Sammlung. 12 DM kostete der Eintritt, die Lesung war unbestuhlt. Warum auf dem Ticket „Even Cowgirls Get The Blues“ steht, der Titel seines zweiten Romans, der 1976 erschienen war (auf Deutsch: „Sissy, Schicksalsjahre einer Tramperin“), und nicht „Half Asleep in Frog Pajamas“ (1994, auf Deutsch: „Halbschlaf im Frosch-Pyjama“), den er in Deutschland vorstellte, kann ich nicht mehr rekonstruieren.

Kennengelernt haben wir uns freilich früher. Also seine Werke und ich. Es war 1995, als ein Zivildienstleistender mit Schreibambitionen bei der SZ-Jugendseite in Ebersberg anheuerte und ihm ebendort sein erster Robbins-Roman in die Hände flatterte. Wer da flatterte, war der „Buntspecht“ (im Original: „Still Life With Woodpecker“), Robbins dritter Roman aus dem Jahr 1980.

Ich spürte sofort die Transformation, über die Robbins ein Leben lang schrieb. Der wilde Roman über Prinzessin Leigh-Cheri und ihre Liebe zum Outlaw Bernard Mickey Wrangle machte etwas mit mir. Nie hatte ich so vergnüglich über den Reiz der Kontraste, die Hürden der Religion, die Macht der Vorstellungskraft und des Mondes nachgedacht, vor allem nicht mit so einer Wortwucht. Ich war damals gerade dabei, Journalist werden zu wollen. Ich rauchte zwar nicht, aber schenkte Zigarettenschachteln nach der Lektüre andere, romantischere Blicke, vor allem den Packungen von Camel. Bald würde ich an der Deutschen Journalistenschule und an der LMU Journalistik studieren, als ich vor Augen geführt bekam, was Sprache kann – wenn man sie denn lässt und nicht in eine Pyramide aus Angst und Konventionen einbunkert.  

„Im letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts, einer Zeit, in der die westliche Zivilisation zu rasch zur Neige ging, um es sich wohlsein zu lassen, und doch wieder zu langsam, um richtig aufregend zu sein, hockte fast alle Welt auf der Kante eines immer teurer werdenden Theatersessels und wartete – je nach persönlicher Neigung – in Furcht, Hoffnung oder Langeweile darauf, daß etwas Bedeutsames passierte.“ (Erster Satz aus „Buntspecht“)

„Outlaws sind Büchsenöffner im Supermarkt des Lebens.“ (Aus „Buntspecht“)

„We waste time looking for the perfect lover, instead of creating the perfect love.“ (Aus „Still Life With Woodpecker“)

Acht Romane hat Tom Robbins geschrieben, hier bisher noch nicht erwähnt sind die beiden letzten: „Fierce Invalids Home from Hot Climates“ (2000, auf Deutsch: „Völker dieser Welt, relaxt!“) und „Villa Incognito“ (2003). Außerdem hat er – womöglich mit Bier im Füller – ein Kinderbuch über sein Lieblingsgetränk geschrieben („B Is For Beer“, 2009, auf Deutsch: „B wie Bier“) sowie „Wild Ducks Flying Backwards“ (2005, auf Deutsch: „Chop Suey“), eine Textesammlung voller Miniaturen, darunter tollkühne Konzertkritiken, die nicht nur Kulturjournalisten ans Herz gelegt seien. Und natürlich seine Memoiren, die keine Autobiografie sind:

„Dies ist keine Autobiografie. Gott behüte! Autobiografien zehren vom Ego, und ich könnte eine lange Liste von Leuten aufstellen, deren Nabel ich lieber betrachten würde als meinen eigenen.“ (Aus „Tibetischer Pfirsichstrudel“, im Original: „Tibetan Peach Pie“, 2014)

Seine Romane sind bevölkert von lebenshungrigen Kellnerinnen, berauschten Air-Force-Piloten und tollkühnen Börsenmaklerinnen, verzauberten Löffeln, Dosen und Socken, verfluchten CIA-Agenten und Hanukis, die vom Himmel fallen und ihren Hodensack als Fallschirm benutzen. Es geht um die ewige Lebenskraft der roten Beete, um daumendicke Überraschungen beim Trampen, um den jüdisch-arabischen Konflikt aus zwischenmenschlicher und mythologischer Perspektive, um Vegetarismus im alten Jahrtausend und Feminismus forever! Die Texte sind Collagen, Märchen, romantische Lovestorys, Comedy-Thriller und vogelwilde Fabeln. Auch die zu Unrecht aus dem literarischen Mainstream verbannte Du-Erzählerin darf einen unvergesslichen Ton setzen.

Robbins‘ Werk ist ein Jahrmarkt des Denkens. Aber ich will ehrlich sein: Es sind in erster Linie seine purzelbaumschlagenden Gedanken und der funkelnde Sprachschatz, die mich an seinen Büchern faszinieren, seine lebensbejahende, demütige Haltung und die philosophischen Pointen des ewigen Lebensclowns. Dagegen verblassen selbst die Storys der Romane ein bisschen. Aber ich bin seit jeher ein Freund der Gleichberechtigung – auch im Sinne der Gleichberechtigung von Form und Inhalt. Wolf Haas sei gegrüßt.     

Robbins wusste das selbst. „My books have plot but they don’t depend on plot, and I think this is important. If you’re only interested in plot, it’s much easier to go to TV or the movies.“ (Aus: „Conversations With Tom Robbins“, 2011).

Für die Lektüre seiner Bücher forderte er ein Bewusstsein, „das entspannt genug war, um den Flöten des Zauberers weg von den vertrauten, gut gepflasterten Straßen von Syntax und Plot in ein grünes, neodruidisches Wäldchen zu folgen, in dem es wilden Mohn, phosphoreszierende Leuchterscheinungen und Pantherpilze gibt sowie eine bunte Pagode, in der das Sprachrad angeschlagen wird wie ein Gong und kein Creative-Writing-Lehrer von der Ivy League jemals lächelnd anzutreffen wäre, geschweige denn tot“. (Aus „Tibetischer Pfirsichstrudel“).

Was mir der Zauberer soeben geflötet hat: Tom Robbins hat mich nahezu mein ganzes bisheriges Erwachsenenleben begleitet. Von 1995, als Coolio cool war und die DVD erfunden wurde, bis zu seinem Tod 2025. 30 Jahre lang war er in Form seines Werks immer für mich da. Ich habe seine Bücher in Wellen gelesen, mehrfach. Zwar mögen Jahre vergangen sein, wo sie, gekränkt ob der Nichtbeachtung, im Bücherregal (Feen-)Staub ansetzten. Aber wann immer es mir schlecht ging, konnte ich darin schmökern. Satz auf Satz ging es mir besser, zumindest ein bisschen.

Wer nun an dieser Stelle sofort abbiegen möchte in seine Romane – ich wäre der Letzte, der nicht verständnisvoll nickte. Ich würde ihr oder ihm motivierend auf die Schultern klopfen. Wissend, dass hier nun eine neugierige Leserin oder ein ausdauernder Leser fehlen wird.

Auch zu Eselsohren mag man stehen, wie man will. Ich finde ja, Eselsohren sind kleine Krönchen der Wertschätzung. Jeder funkelnde Tom-Robbins-Satz hat mindestens eine Kronenzacke verdient. Es ist mir deshalb immer eine große Freude, in den alten Büchern zu stöbern und auf Spuren meiner früheren Begeisterung zu stoßen.

„Rosa ist das, was von Rot bleibt, wenn es die Schuhe abstreift und mal so richtig auf die Pauke haut. Rosa ist die Farbe von Boudoirs, engelgleich, die Farbe des Himmelstors. (Nicht Perlmutt oder Gold, liebe Brüder und Schwestern, sondern Rosa). Rosa ist so locker wie Beige, aber Beige bleibt stumpf und langweilig, Rosa dagegen ist locker und beweist Haltung.“ (Aus „Chop Suey“, im Original: „Wild Ducks Flying Backwards“, 2005).

„Metaphern sind imstande, eine Szene zuzuspitzen und ein Bild zu verewigen, eine Zeile Prosa aus dem banalen Sumpf rein fiktiver Berichterstattung herauszuheben und sie in das leuchtende Labyrinth der kollektiven Psyche zu versetzen. Aus der einfachsten Steckrübe quetschen sie noch Bedeutung.“ (Aus „Chop Suey“).

„Unsere Aufgabe besteht darin, bewusst und mit offenen Augen auf einen weiseren, freieren und strahlenderen Zustand hinzusteuern, ins Paradies zurückzukehren, Freundschaft mit der Schlange zu schließen und unsere Computer zwischen wilden Apfelbäumen aufzustellen.“ (Aus „Chop Suey“).

Sätze, Sätze, Sätze.

„Disbelief in magic can force a poor soul into believing in government and business.“ (Aus: „Even Cowgirls Get The Blues“).

„It’s never too late to have a happy childhood.“ (Aus: „Still Life With Woodpecker“)

Schätze, Schätze, Schätze.

„Poets remember our dreams for us.“ (Aus: „Still Life With Woodpecker”)

Tipps zum Schreiben hat er auch, o ja!

„There is, in fact, only one rule in writing fiction: Whatever works, works.“

„Get yourself in that extreme state of being next to madness. You should always write with an erection. Even if you’re a woman.“ 

Geradezu legendär sind auch seine Ersten Sätze. An dieser Stelle möchte ich auf mein Museum der schönen Sätze verweisen, das unter dem Motto „Zur Sache, Sätzchen!“ seit August 2011 zum Stöbern einlädt. Tom Robbins ist dort, wen wundert’s, stärker vertreten als, hm, sagen wir Martin Suter: www.lieblingssaetze.de

Bei all der ehrlichen Bewunderung – natürlich weht auch durch Robbins‘ Bücher ein trügerischer Zeitgeist (wenngleich sich der Esprit nicht unterkriegen lässt und stets viel stärker weht, ja pustet!). Auch seine Romane sind Schöpfungen ihrer Zeit. Insbesondere sein Frühwerk ist wild und fluoreszierend wie die späten Sechziger, die ich freilich nur aus Erzählungen kenne.

Und dennoch: Keine andere Autorin, kein anderer Autor hat es jemals geschafft, mich sprachlich, gedanklich und formal ähnlich stark zu inspirieren wie Robbins. Mal ehrlich: Die meisten publizierten und anständig vermarkteten Schriftstellerinnen und Schriftsteller gehen sprachlich eher den ausgeschilderten Weg durch den Wörterdschungel, statt sich auf abenteuerliche Abwege zu begeben. Abwege, die sie abstürzen lassen können oder zu den Schatzkästchen des Lebens führen. Freilich gibt es sie, die Heldinnen und Helden im Erzählen, im Sinne eines Wunderwörterwerks nach meinen sehr persönlichen Wünschen. Um nur ein paar von ihnen genannt zu haben: Wolf Haas, Heinrich Steinfest, Verena Roßbacher, Max Porter, Douglas Adams, Richard Brautigan, Einzlkind, Kurt Vonnegut, Robert Gwisdek.

Ich selbst versuche es auch, das fluoreszierende Schreiben, den tollwütigen Wörtertanz, die Wassergymnastik in der Buchstabensuppe. Mit kindlicher Freude, nicht immer kühlem Kopf und manchmal sogar mit Maß (die einen sagen so, die anderen so, haha). Vergleichen würde ich mich mit Tom Robbins nie. Obwohl er indirekt sogar dazu ermutigt: „Always compare yourself to the best. Even if you never measure up, it can’t help but make you better“.

Tom Robbins fehlt. Sein Werk funkelt.

Schließen möchte ich diesen göttlichen Lobgesang mit Worten voller Dankbarkeit. Denn diese Sätze standen auch noch in Tom Robbins‘ Mail von August 2017: „Thanks again for your kind and very entertaining commentary on my oeuvre. May it cause no god to aim a thunderbolt in your direction.“

Am Ende mag ich ihm, geblendet vom Licht der Gewitterblitze, hinterherrufen ins unbekannte Irgendwo, was er mir am Ende der Mail schrieb: „Please feel ridiculously fine!“

Always and Forever.

Bernhard Blöchl im März 2025